Die europäische Weltraumorganisation ESA hat Ende März ein neues Schwerefeldmodell der Erde veröffentlicht. Es basiert auf den Daten des Satelliten GOCE und zeigt ein beeindruckendes Bild der räumlichen Schwerevariationen der Erde mit einer bisher nicht erreichten Präzision. Die Oberfläche der Erde wird durch Schwerkraft geformt. Weil diese nicht überall gleich ist, machen sich Gebiete mit geringerer Anziehungskraft als „Dellen“, diejenigen mit stärkerer Anziehungskräfte als „Beulen“ bemerkbar. Wenn man die Erde als Schwerefeld darstellt, ist sie also nicht kugelförmig, sondern erinnert eher an eine Kartoffel.
Das Schwerefeldmodell soll unter anderem helfen, das Verständnis für komplexe Vorgänge auf der Erde wie beispielsweise der globalen Ozeanzirkulation und die damit verbundenen Klimavorgänge auf der Erde deutlich zu verbessern. Im Exzellenzcluster QUEST (Centre for Quantum Engineering and Space-Time Research) an der Leibniz Universität Hannover gehen die Wissenschaftler jetzt noch einen Schritt weiter. Am Institut für Erdmessung kombinieren sie die Schwerefeldmodelle aus den Satellitendaten mit eigenen Modellen, die durch Messungen an der Erdoberfläche gewonnen wurden. Die daraus resultierenden regionalen Schwerefeldmodelle weisen für Deutschland eine hohe räumliche Auflösung und eine Präzision im Zentimeterbereich auf.
Das Schwerefeld der Erde wird oft in Form eines Modells von Schwereanomalien oder sogenannten (Quasi-)Geoidhöhen dargestellt. Diese regionalen Abweichungen im Schwerefeld ergeben sich durch Unregelmäßigkeiten in der Erdkruste, da die Massen zum Beispiel in Gebirgen oder den Kontinentalplatten nicht gleichmäßig verteilt sind und somit die Erdanziehungskraft auf der Erdoberfläche beeinflussen. Die europäische Weltraumorganisation ESA hat im März 2009 den Satelliten GOCE (Gravity Field and Steady-State Ocean Circulation Explorer) mit dem Ziel gestartet, das statische Schwerefeld der Erde mit Hilfe von innovativer Messtechnik, einem Ensemble an Beschleunigungsmessern - dem so genannten Schwerefeld-Gradiometer, zu bestimmen. GOCE wurde speziell für eine bislang unerreichte Genauigkeit bei maximaler räumlich-spektraler Auflösung des Erdschwerefeldes konzipiert.
Die Datenerfassung aus dem All hat allerdings eine Grenze, die derzeit auf der Erdoberfläche bei einer räumlichen Auflösung von etwa 100 Kilometern liegt. Für eine bessere Auflösung werden daher noch andere Messwerte benötigt. „Hier helfen uns Messungen mit Sensoren an der Erdoberfläche, die sehr genau auch kleinräumige Schwerefeldstrukturen aufzeigen können“, erklärt Prof. Dr. Jürgen Müller, Leiter des Instituts für Erdmessung der Leibniz Universität Hannover. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Hannover überprüfen dafür die globalen Schwerefeldmodelle aus den Satellitendaten mit hochgenauen, terrestrischen Schwerefelddaten aus Deutschland. Das derzeit am Institut für Erdmessung entwickelte (Quasi-)Geoidmodell für Deutschland, das durch die Kombination der Daten besser sein wird als jedes andere zuvor, wird in Zukunft als neues Höhenreferenzsystem für die Normalhöhe Null dienen. Die Informationen werden für vielfältige Anwendungen in der Geodäsie, wie zum Beispiel bei der Landesvermessung, der Navigation oder bei Deformationsmessungen benötigt. „Aber auch im Bauwesen, zum Beispiel bei größeren Überland-Bauvorhaben wie Stromtrassen, Pipelines oder Wasserleitungen wird das neue Modell sehr hilfreich sein“, so Müller weiter.
Die gewonnenen Erkenntnisse sollen auch genutzt werden, um die Beobachtungskonzepte mit Hilfe von Satelliten weiter zu verbessern. Im Rahmen des Exzellenzclusters QUEST arbeiten die Forscherinnen und Forscher bereits an neuen Technologien für zukünftige Schwerefeldmissionen. Es werden neuartige Messsysteme, wie Laserinterferometer oder optische und atominterferometrische Beschleunigungssensoren, für die nächste Generation von Satelliten entwickelt, die eine weitere Steigerung in der räumlichen und zeitlichen Auflösung des globalen Schwerefeldes ermöglichen und dann selbst kleine Massenvariationen im Erdsystem, beispielsweise Veränderungen in den sibirischen Permafrostgebieten, erfassen können.
Für weitere Informationen stehen Ihnen Prof. Dr. Jürgen Müller, Institut für Erdmessung, unter Telefon +49 511 762 3362 oder per E-Mail unter mueller@ife.uni-hannover.de sowie Dr. Ude Cieluch, QUEST Kommunikation, unter Telefon +49 511 762 17481 oder per E-Mail unter ude.cieluch@quest.uni-hannover.de gern zur Verfügung.